27/10/2025
Kann ein Quarter oder Paint Horse so untertreten wie ein Warmblut?
Gestern wurde ich angeschrieben und gefragt, ob ein Quarter oder Paint Horse überhaupt genauso untertreten kann wie ein Warmblut.
Also ob sie anatomisch überhaupt dazu in der Lage sind, die Hinterhand so weit unter den Schwerpunkt zu bringen, um Last aufzunehmen und über den Rücken zu arbeiten.
Eine spannende Frage und eine, die mich jedes Mal wieder freut, weil sie zeigt, wie viel Interesse inzwischen an echter Biomechanik besteht, nicht nur an Optik.
Zuerst: Ja, sie können.
Aber sie tun es anders.
Ein Quarter oder Paint Horse hat von Natur aus einen anderen Körperbau als ein Warmblut. Der Rücken ist kürzer, das Becken etwas flacher, der Schwerpunkt liegt tiefer. Die Kruppe ist breiter, die Hinterhand muskulöser, und die Kraftübertragung geht dadurch direkter nach vorne oder nach unten. Diese Anatomie macht sie zu wahren Kraftpaketen, gebaut für Wendigkeit, schnelle Reaktionen, Stopps und Antritte.
Ein Warmblut dagegen hat meist ein längeres Becken und einen etwas aufgerichteteren Körperbau. Dadurch kann es das Hinterbein in der Bewegung weiter unter den Körper bringen und den Rücken stärker aufwölben. Das sorgt für diese raumgreifenden, elastischen Bewegungen, die wir aus der klassischen Dressur kennen.
Ein Quarter zeigt dasselbe Prinzip, das aktive Untertreten und Tragen, nur in einer kompakteren, stabileren Form. Es sieht nicht so „groß“ aus, aber biomechanisch passiert dasselbe: die Hanken beugen sich, der Rücken wird aktiv, das Pferd bringt Last auf die Hinterhand und entlastet die Vorhand.
Wenn man genau hinschaut, sieht man:
Das Becken des Quarters kippt in der Bewegung flach nach vorn, die Lendenpartie bleibt stabil, und die kräftige Glutealmuskulatur arbeitet explosionsartig, aber kontrolliert. Das ist Schub- und Tragkraft in einem. Nur eben nicht mit viel Raumgriff und Schwebephase, sondern mit Präzision, Gleichgewicht und Körperbewusstsein.
Ein Warmblut zeigt mehr vertikale Bewegung, ein Quarter mehr horizontale Balance. Beides ist korrekt, beides ist Ausdruck von Losgelassenheit, nur anders verpackt.
Viele sehen beim Quarter das „ruhige“ Bewegungsbild und denken, da fehlt Aktivität.
Aber wer einmal gespürt hat, wie ein gut gerittenes Westernpferd unter einem arbeitet, wie es sich sammelt, trägt und fast von selbst ins Gleichgewicht kommt, der weiß: Da ist unglaublich viel Energie, sie wird nur anders gelenkt.
Das Pferd trägt nicht weniger, es zeigt es nur nicht so theatralisch.
Und genau das liebe ich an diesen Pferden: Sie sind ehrlich, klar in der Bewegung, und unglaublich fein in ihrer Balance. Sie müssen nichts beweisen. Sie sind keine Tänzer, sondern Athleten, gebaut, um kraftvoll, kontrolliert und ausbalanciert zu funktionieren.
Anatomisch gesehen sind also keine Grenzen gesetzt, nur Unterschiede in Winkelung, Schwerpunkt und Muskulatur.
Das Warmblut nutzt diese Voraussetzungen, um Ausdruck und Kadenz zu erzeugen.
Der Quarter nutzt sie, um Stabilität und Kontrolle zu behalten.
Beide Pferdetypen können hervorragend untertreten, nur auf ihre ganz eigene Weise.
Und das ist für mich das Schönste an der Reiterei:
Wenn man anfängt, Pferde nicht nach dem Aussehen der Bewegung zu beurteilen, sondern danach, was im Körper passiert.
Dann erkennt man, dass jedes Pferd, egal ob Quarter, Paint oder Warmblut, sein eigenes, wunderbares System hat, um Tragkraft zu entwickeln.
Nicht besser, nicht schlechter. Nur anders.
Und genau das sollten wir respektieren und fördern.
Schönen Wochenanfang...
Mehr zu lesen gibt es hier:
https://www.amazon.de/stores/Tommy-Freundlich/author/B0F8Z7L476?ref=ap_rdr&isDramIntegrated=true&shoppingPortalEnabled=true