01/08/2025
Sehr gut beschrieben
VERHALTENSANALYSE UND TAKTISCHE ABLEITUNGEN FÜR DEN EINSATZ MIT PERSONENSUCHHUNDEN IM WALD- UND URBANEN RAUM
Das Verhalten vermisster Personen unterliegt typischen Mustern, die sich in Bewegungsrichtungen, Fortbewegungsarten und dem emotionalen Zustand der betroffenen Person abbilden. Für die Arbeit mit Personensuchhunden ist es entscheidend, diese Muster nicht nur zu kennen, sondern sie auch mit dem richtigen Suchansatz, einer fundierten Startpunktwahl und einem hochwertigen Geruchsartikel zu verbinden. Der Hund zeigt kein Ziel – er zeigt den Verlauf der Spur. Die Qualität der Information hängt also unmittelbar von der Vorbereitung des Einsatzes ab.
PILZSUCHER
Pilzsucher bewegen sich langsam, bodenorientiert und ohne Wegbindung durch den Wald. Die Aufmerksamkeit richtet sich vollständig auf den Boden – der Rückweg wird weder markiert noch bewusst wahrgenommen. Das Bewegungsmuster ist unstrukturiert, häufig kreisend oder in kleinen Schleifen. Besonders bei Wetterumschwung, Nebel oder körperlicher Erschöpfung verlieren diese Personen sehr schnell die Orientierung. Rückwege werden meist nicht angetreten, die Bewegung endet selten an einem logischen Ziel. Viele sind älter, möglicherweise gesundheitlich vorbelastet und mit geringer technischer Ausrüstung unterwegs.
Der Einsatz mit einem Personensuchhund beginnt in diesen Fällen sinnvollerweise am Fahrzeug oder einem gesicherten Einstiegspunkt. Die Arbeit des Hundes sollte von einem engmaschigen Suchschema begleitet werden – besonders dann, wenn keine klare Bewegungsrichtung erkennbar ist. Spuren in der Vegetation, niedergedrückte Pflanzen oder Schleifspuren können zusätzliche Hinweise liefern. In der Praxis wurden Personen mehrfach nur wenige hundert Meter vom Startpunkt entfernt aufgefunden – durch PSH angezeigt, obwohl sie in der visuellen Suche zuvor übersehen wurden.
Je länger sich Personen an einer Stelle aufhalten oder sich langsam fortbewegen, desto eher kommt es zur Anreicherung von Individualgeruch im Umfeld. Diese Verdichtung kann sich – insbesondere unter Einfluss von Wind, Gelände und Witterung – über größere Flächen verteilen. Der Hund arbeitet in diesen Bereichen intensiv, zeigt aber nicht zwangsläufig eine zielgerichtete Anzeige. Stattdessen können wiederholte Bewegungsmuster, punktuelles Verharren und kreisende Suchverläufe Hinweise auf die Struktur der Geruchslage geben. Dieses Verhalten muss über mehrere Anläufe hinweg beobachtet und eingeordnet werden, um taktisch verwertbare Ableitungen zu ermöglichen.
WANDERER IM WALD
Wanderer folgen in der Regel erkennbaren Wegen oder markierten Pfaden. Ihre Bewegung ist zunächst linear, bricht aber bei Erschöpfung, Verwirrung oder technischem Ausfall (z. B. defekte App, kein GPS-Empfang) abrupt ab. Es kommt zu spontanen Richtungswechseln oder dem Rückzug in vermeintlich geschützte Bereiche – etwa Unterstände, Rastplätze oder Aussichtspunkte. Gerade Alleinwanderer überschätzen ihre Kraft oder unterschätzen die Länge der gewählten Strecke.
Der Personensuchhund kann hier gezielt an einem verifizierten Einstiegspunkt angesetzt werden – z. B. dem Fahrzeug, einer Sichtmeldung oder einer bekannten Kreuzung. Das Verhalten des Hundes entlang der Wege gibt Hinweise auf die tatsächliche Laufrichtung. In Einsätzen hat sich gezeigt, dass klassische Wegabschnitte verlassen wurden, ohne dass dies vorab nachvollziehbar war. Der PSH kann durch zügiges Flowing entlang der Wege oder durch Verhaltensänderungen an Weggabelungen wichtige Informationen liefern. Auch hier gilt: Bei längerer Verweildauer oder Bewegung in dichtem Gelände kann es zur Anreicherung von Individualgeruch kommen, wodurch die Ausarbeitung erschwert wird. Der Hund zeigt dann kein klares Vorwärtsverhalten, sondern orientiert sich innerhalb eines erweiterten Suchbereichs, der sorgfältig zu lesen ist.
JÄGER
Jäger bewegen sich meist zielgerichtet, folgen Wildspuren und verlassen dabei bekannte Wege. Besonders bei Drückjagden oder Einzelpirsch kann es vorkommen, dass sie unwegsames Gelände durchqueren oder sich in Senken und Dickungen aufhalten. Nach einem Unglücksfall – etwa Sturz, Kreislaufzusammenbruch oder Jagdunfall – bleiben sie häufig an schwer einsehbaren Orten liegen. Die Kombination aus Jagdbekleidung, Tarnung und Geländeform erschwert die visuelle Suche erheblich.
Für den PSH stellt die Nachsuche eine besondere Herausforderung dar, da es bei längerer Liegedauer zur Anreicherung von Geruch im Gelände kommt. Der Hund zeigt in solchen Fällen kein klassisches Flowing, sondern sucht innerhalb eines großflächigen, geruchlich geprägten Bereichs. Das Suchverhalten muss sorgfältig gelesen werden – mehrere Anläufe sind notwendig, um die Richtung eindeutig zu bestimmen.
JOGGER UND SPORTLER
Jogger und Sportler bewegen sich schnell, dynamisch und meist entlang fester Routen. Im urbanen Bereich wählen sie bekannte Wege – etwa Parks, Waldpfade oder Feldwege –, orientieren sich aber oft auch an Lauf-Apps. Kommt es zu einem gesundheitlichen Notfall (z. B. Herzinfarkt, Sturz), kann die Person seitlich der Strecke in Senken, Böschungen oder hinter Vegetation zum Liegen kommen – für Sichttrupps nicht direkt erkennbar.
Der PSH muss daher an einem geeigneten Einstiegspunkt (z. B. letzter Sichtkontakt, Abzweig, Parkplatz) angesetzt werden. Entscheidend ist die sorgfältige Bewertung des Geruchsartikels sowie die Einschätzung, ob es durch Ersthelfer, Sichtungskräfte oder Angehörige zu einer Kontamination kam. Das Verhalten des Hundes – insbesondere das Auftreten von Flowing Negative oder das Anzeigen eines geruchlich geprägten Bereichs – liefert wichtige taktische Hinweise. Wetterlagen wie starker Regen, Nebel oder extreme Hitze können das Suchbild zusätzlich erschweren und die Einsatzentscheidung beeinflussen.
UNGLÜCKSFALL, MEDIZINISCHE NOTLAGE UND WITTERUNGSEINFLÜSSE
Personen, die im Wald unterwegs sind – sei es beim Sport, der Pilzsuche oder auf der Jagd –, können durch plötzliche gesundheitliche Probleme zu Boden gehen. Solche Situationen sind kritisch, da sie meist ohne unmittelbare Zeugen stattfinden. Der Betroffene bleibt häufig in einer Senke, hinter Vegetation oder abseits von Wegen liegen – oftmals schwer auffindbar. In weitläufigen Waldgebieten ohne Mobilfunknetz entfällt zudem die Möglichkeit zur Selbsthilfe oder Ortung über digitale Dienste.
Der Personensuchhund kann in solchen Fällen wertvolle Hinweise liefern – insbesondere durch ein verändertes Suchverhalten im Bereich der Geruchskonzentration. Je nach Liegedauer kann sich am Aufenthaltsort ein intensiver Geruchspool bilden, der sich durch Wind, Temperatur und Gelände breit verteilt. Der Hund zeigt in diesen Situationen kein klassisches Flowing, sondern arbeitet in einem variierenden Suchmuster – geprägt von Richtungswechseln, Suchbögen und punktuellem Suchverhalten.
Dieses Verhalten deutet auf die Ausdehnung eines Geruchskorridors hin, der durch länger andauernden Aufenthalt der vermissten Person entstanden ist. Dabei verteilt sich der Individualgeruch abhängig von Gelände, Wind und Witterung ungleichmäßig. Der Hund grenzt diesen Bereich durch sein Verhalten ein – ohne dabei zwingend eine direkte Anzeige auszulösen. Diese Reaktion ist keine Unsicherheit, sondern das Ergebnis einer komplexen Geruchssituation, die gezielte taktische Maßnahmen und genaue Beobachtung erfordert.
Topografische Besonderheiten wie Hanglagen, Senken, Bachläufe oder Seeufer erschweren die Suche zusätzlich. Hier kann sich der Geruch hangabwärts oder entlang von Böschungen verlagern, wodurch sich der eigentliche Liegeort außerhalb des vom Hund zuerst angezeigten Bereichs befinden kann. In solchen Fällen ist ein ergänzender Einsatz von Flächensuchhunden oder Sichtkräften sinnvoll. Starke Witterungseinflüsse – etwa anhaltender Regen, Hitze oder Frost – können die Geruchsaufnahme erschweren oder unmöglich machen. Der Hund reagiert dann auf verstreute Geruchspartikel, ohne einer klaren Spur folgen zu können. Das Suchverhalten wirkt dann ungerichtet, und der geruchlich geprägte Bereich wird größer – eine zielgerichtete Anzeige kann ausbleiben.
STARTPUNKTWAHL UND SUCHMUSTER
Die Wahl eines geeigneten Startpunkts ist entscheidend für die Lesbarkeit des Trails und die Qualität der Spuraufnahme. Ein Start „auf Verdacht“ ist taktisch unsauber und birgt das Risiko, wertvolle Suchzeit durch ungerichtete Versuche zu verlieren. Der Einstiegspunkt muss in Einklang mit dem Verhalten der vermissten Person, den verfügbaren Geruchsartikeln und der konkreten Situation vor Ort stehen. Zu den bestimmenden Faktoren zählen die Topografie, der Hintergrund der Vermisstenlage, mögliche gesundheitliche Einschränkungen sowie Hinweise auf wichtige Medikamente oder andere individuelle Besonderheiten.
Auch die Umgebung des möglichen Startpunktes ist von Bedeutung: Ein abgestelltes Fahrzeug – sei es Auto, Fahrrad oder Roller – kann wertvolle Rückschlüsse auf den Einstieg in die Umgebung liefern. Zudem sind Informationen von Angehörigen oder Bekannten zur mutmaßlichen Route oder geplanten Strecke der Person von großer Bedeutung. Digitale Hinweise wie Mobilfunkdaten – etwa der letzte bekannte Standort über das Handynetz – können unter bestimmten Voraussetzungen zur Eingrenzung beitragen. Persönliche Daten aus Apps oder Geräten sind in der Regel nicht zugänglich und spielen für die taktische Planung vor Ort eine untergeordnete Rolle.
Gibt es mehrere potenzielle Richtungen, müssen diese systematisch und logisch eingegrenzt werden – mithilfe taktischer Analyse, Geländeverständnis und gezieltem Casten durch den Personensuchhund.
Formale Konzepte wie Line-Up oder Ausschlusstrail sind in solchen Lagen nicht zielführend – stattdessen bedarf es einer klaren Lageeinschätzung und eines strukturierten Vorgehens. Wesentlich sind dabei mehrere, sauber gewonnene Geruchsartikel, die eine fundierte Orientierung und paralleles Arbeiten in mehreren Bereichen ermöglichen.
Im Anschluss an die Geruchsaufnahme ist das Suchverhalten des Hundes von zentraler Bedeutung. Zeigt der Hund unmittelbar ein zielgerichtetes, fließendes Suchverhalten (Flowing) mit klarer Laufrichtung, ist dies ein starker Hinweis auf eine verwertbare Geruchsspur. Diese Art der Spurarbeit signalisiert dem Hundeführer, dass eine tatsächliche Verbindung zwischen Geruchsartikel und Individualspur besteht. Das Suchverhalten ist dabei ruhig, fokussiert und durch einen kontinuierlichen Bewegungsfluss geprägt. Richtungswechsel erfolgen nachvollziehbar und nicht sprunghaft, was auf eine konsistente Geruchswahrnehmung hindeutet. Ein plötzliches Abbrechen oder Wechseln dieses klaren Suchbildes kann hingegen auf äußere Einflüsse oder Veränderungen im Spurverlauf hinweisen, was entsprechend beobachtet und in die taktische Bewertung einbezogen werden muss.
Zeigt der Hund nach der Geruchsaufnahme kein zielgerichtetes Suchverhalten, sondern beginnt mit einer ausgedehnten Orientierungssuche – beispielsweise in Form eines quadratischen oder kreisförmigen Musters, das zum Ausgangspunkt zurückführt –, muss die Aussagekraft des Geruchsartikels kritisch überprüft werden. Ein solches Verhalten kann auf eine fehlende Übereinstimmung zwischen Geruchsartikel und tatsächlicher Spur der vermissten Person hinweisen. Zeigt der Hund darüber hinaus ein No-Scent-Identification-Verhalten – also eine klar antrainierte Anzeige, dass der präsentierte Geruch im Umfeld nicht mit einer wahrnehmbaren Individualspur in Verbindung steht –, ist eine taktische Neubewertung notwendig. Der Hund signalisiert damit eindeutig, dass sich in der Umgebung keine Spur der gesuchten Person befindet, die er aufnehmen kann. Dieses Verhalten unterscheidet sich deutlich von einer allgemeinen Orientierung und gilt als klares Indiz für einen ungeeigneten Geruchsartikel. In einem solchen Fall sollte ein alternativer, zuverlässig gewonnener Geruchsartikel verwendet und der Suchprozess durch strukturiertes Casten neu begonnen werden.
Kontaminationen des Startbereichs durch Einsatzkräfte, Angehörige oder andere Personen können die Arbeit des Hundes erheblich erschweren. Der Startbereich ist wie ein Tatort zu behandeln – jede unnötige Anwesenheit verändert die Geruchslage. Der Hundeführer muss die Hinweise seines Hundes lesen, bewerten und in sinnvolle taktische Maßnahmen übersetzen. Ein durchdachtes Suchmuster, situative Anpassungen und das Gespür für die Gesamtzusammenhänge entscheiden letztlich über die Qualität des Einsatzes.
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