
26/08/2025
Shutdown, das stille Leiden
Ein langer Text, weil es mir so überaus wichtig ist.
Es war auf einem meiner Kurse, als eine Teilnehmerin mit ihrem Wallach in die Bahn trat. Schon beim ersten Hinsehen fiel mir auf, wie still er war. Er bewegte sich kaum, seine Augen schauten ins Leere, die Ohren blieben fast regungslos.
Die Besitzerin lächelte stolz. „Er ist einfach unglaublich brav“, sagte sie. „Ich kann alles mit ihm machen. Er macht nie Probleme.“
Die anderen nickten anerkennend, doch in mir zog sich etwas zusammen. Denn ich sah nicht das Bild eines entspannten, vertrauensvollen Pferdes. Ich sah ein Tier, das innerlich längst aufgegeben hatte.
Seine Ruhe war keine echte Gelassenheit. Sie war wie eine unsichtbare Mauer, hinter der er sich verkrochen hatte. Kein Widerstand, kein Ausdruck, nur Schweigen. Ein Schweigen, das lauter schrie als jedes Bocken oder Steigen.
Vorsichtig sprach ich die Besitzerin darauf an. Gemeinsam beobachteten wir die kleinen Zeichen: die starre Mimik, das fehlende Blinzeln, die eingefrorene Haltung. Erst da begann sie zu verstehen, dass dieses „brave“ Verhalten nicht aus Vertrauen kam, sondern aus Resignation.
In ihren Augen mischte sich Erstaunen mit Traurigkeit. „Ich dachte immer, er wäre so artig“, flüsterte sie.
Und genau das ist die Gefahr: Dass wir im Shutdown ein braves Pferd sehen, während es in Wahrheit innerlich zerrissen ist.
Merkmale eines Shutdowns bei Pferden:
• Das Pferd wirkt apathisch oder „wie abgeschaltet“
• Geringe oder keine Reaktionen auf Umweltreize
• „Leere“ Augen, starrer Blick
• Kaum Bewegung von Ohren oder Gesichtsmuskeln
• Sehr langsame oder automatisierte Bewegungen
• Es macht äußerlich „alles mit“, ohne Widerstand
Ursachen:
• Überforderung im Training (zu viel Druck, zu schnell, zu wenig Pausen)
• Ständige Unterdrückung von Abwehrreaktionen (z. B. wenn jedes „Nein“ sofort bestraft wird)
• Traumatische Erfahrungen oder grober Umgang
• Längerfristiger Stress ohne Möglichkeit zur Selbstregulation
Warum ist das problematisch?
• Ein Pferd im Shutdown wird oft missverstanden („So brav!“), dabei hat es innerlich aufgegeben.
• Das Pferd lernt in diesem Zustand nicht wirklich, sondern erträgt nur.
• Langfristig kann das zu psychischen Schäden, Vertrauensverlust und gesundheitlichen Problemen führen.
Woran man den Unterschied erkennt (Shutdown vs. echte Gelassenheit):
• Gelassen: weiche, bewegliche Augen; entspannte Mimik; Ohren reagieren; Atmung ruhig; Körperhaltung locker
• Shutdown: starre Augen; kaum Mimik; eingefrorene Haltung; wirkt wie „nicht da“
Auswege / Hilfe:
• Training in kleinen, klaren Schritten
• Dem Pferd echte Wahlmöglichkeiten geben (z. B. Pausen, Distanz vergrößern)
• Positive Verstärkung und ruhige Wiederholungen
• Auf feine Signale achten und rechtzeitig reagieren
• Vertrauensaufbau und Sicherheit vermitteln
Viele Trainer sprechen hier auch von der „erlernten Hilflosigkeit“ bei Pferden, das ist der psychologische Hintergrund.
Bitte teilt diesen Text so oft es geht, denn Shutdown ist ein weiterverbreitetes Symptom und braucht mehr Öffentlichkeit.
Mein Name ist Tommy Freundlich, ich bin Pferdetrainer / Buchautor und ich danke euch im Namen aller Pferde.
Meine Bücher findet ihr bei Amazon und Kindle
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