
02/09/2025
Klein, kleiner, am kleinsten…Qualzucht
Sie sind klein, süß, bedienen jedes Kindchenschema und wecken echte Muttergefühle (auch bei hartgesottenen Männern😉).
Zu den Kleinsthunderassen gehören beispielsweise Chihuahuas, Yorkshire Terrier, Shi Tzus, Zwergpudel, Pomeranians, Prager Rattler und viele mehr.
Die Steigerung beschreiben sogenannte Toy- oder Teacup-Hunde, die keine eigene Rasse, sondern bewusst möglichst klein gezüchtete Kleinsthunde beschreiben. Diese Miniaturausgaben haben durch ihre Größe einige gesundheitliche Schwachstellen, die sie zu echten Qualzuchten machen.
Laut Zuchtordnung des VDHs (Verband für das Deutsche Hundewesen) dürfen ausschließlich Hunde über 2 kg zur Zucht eingesetzt werden, um „zu kleine“ Exemplare zu vermeiden. Wenn wir realistisch bleiben wollen, dann weisen auch Hunde mit 2,5 kg häufig eines oder mehrere der folgenden Probleme auf.
Wir starten vorne an der Nasenspitze:
Kleinsthunde haben durch ihren kurzen Gesichtsschädel und die typische Apfelform (stark gewölbter Schädel, kurze Schnauze, ausgeprägter Stop) des Schädels einige anatomische Besonderheiten und einhergehende Defizite:
Die Nase ist kürzer und ermöglicht dadurch keine ausreichende Thermoregulation und physiologische Atemsituation.
Die knöcherne Augenhöhle ist sehr flach, was die dazu führt, dass die Augen weiter aus dem Schädel hervorstehen als üblich. Der Tränennasenkanal ist häufig nicht ausgebildet oder stark verengt, was dazu führt, dass Tränenflüssigkeit aus den Augen herausläuft und die bekannten Tränenstraßen bildet. Die ständig feuchte Haut kann sich leicht entzünden. Das Auge ist durch das Hervorstehen anfälliger für Defekte auf der vorderen Augenhaut (Cornea), da der Lidschluss meist nicht vollständig ist. Es entsteht eine Art Sollbruchstelle auf der Cornea durch die defizitäre „Scheibenwischerfunktion“ der Augenlider.
Der Schädel kann eine dauerhaft bestehende Öffnung aufweisen (persistierende Fontanelle). Normalerweise schließt sich diese Lücke nach vollständigem Auswachsen der Hunde. Ist dies nicht der Fall ist der Schädel empfindlicher gegenüber äußeren Einwirkungen. Das Gehirn ist an dieser Stelle nur von einer Bindegewebsbrücke statt von Knochen geschützt. Noch schlimmer: Die stark gewölbte Schädelform geht häufiger mit Missbildungen des Gehirns einher (wie zum Beispiel dem Hydrocephalus oder der Chiari-Malformation). Vereinfacht erklärt hat das Gehirn nicht ausreichend Platz in dem zu kurz gezüchteten Schädel. Daraus ergeben sich teils massive neurologische Probleme, die oft nicht mit dem Weiterleben vereinbar sind.
Der verkürzte Gesichtsschädel beherbergt nicht ausreichend Platz für die verhältnismäßig großen Zähne. Dies kann zu Fehlstellungen führen. Zähne rotieren um ihre eigene Achse, der Zahnwechsel bereitet Probleme (persistierende oder retinierte Milchzähne) und die Zahnabstände sind verringert. Letzteres führt sehr häufig zu massiven Entzündungen im Bereich des Zahnhalterapparates (Parodontitis) und macht die kleinen Hunde zu lebenslangen Zahnpatienten.
Die kleinen Patienten haben aufgrund ihrer geringen Körpermasse eine verhältnismäßig große Körperoberfläche, was ein Auskühlen (vor allem im Rahmen einer Vollnarkose) massiv begünstigt.
Die mit der reduzierten Größe einhergehende Stoffwechsellage begünstigt Unterzuckerungen (Hypoglykämie) schon bei kleineren Magendarminfekten, wodurch diese Patienten schneller intensivmedizinisch versorgt werden müssen.
Der fragile Knochenbau begünstigt Knochenbrüche schon bei kleineren Traumata und erschwert die chirurgische Versorgung. So kann ein „einfacher Beinbruch“ zu einer chirurgischen Herausforderung werden.
Die Kniescheibe kann durch unzureichende knöcherne Begebenheiten und eine wenig ausgebildete Oberschenkelmuskulatur aus ihrer physiologischen Lage herausspringen (Patellaluxation). Dass das schmerzhaft ist, ist klar! Lahmheiten, anhaltendes Laufen auf drei Beinen und vermehrte Arthrosen sind die Folge. Eine Patellaluxation sollte also frühstmöglich erkannt und chirurgisch versorgt werden.
Und zu guter letzt das Thema Narkose:
Wirklich brenzlig wird es bei dem Allgemeinen Narkoserisiko, was laut neuen Studien um das 7,7 fache (!) erhöht ist, wenn wir über Teacup- oder Toy-Hunde (Gewicht unter 2,5kg) reden. Allein die notwendigen Anästhesien für die beispielsweise notwendigen Zahneingriffe stellen uns vor besondere Herausforderungen.
Die Dosierung der handelsüblichen Anästhetika ist schwierig, da die Konzentrationen nur durch Verdünnungen erreicht werden können.
Wie bereits erwähnt ist unser Endgegner die Hypothermie (Absinken der Körpertemperatur unter 36 Grad), da sie Herz-Kreislaufprobleme, Probleme in der Aufwachphase und sogar Wundheilungsstörungen begünstigt. Um dagegen vorzugehen sind wir technisch mit entsprechenden Wärmegeräten ausgestattet.
Die erwähnte Hypoglykämie (Unterzuckerung) spielt natürlich auch im Rahmen der Narkose eine wichtige Rolle. Sie kann zu Herzrhythmusstörungen, einem intraoperativen Blutdruckabfall und verlängerten Aufwachphasen führen. Der Glukosewert sollte mindestens vor der Narkose, im besten Falle aber auch während der Narkose mehrmals kontrolliert werden. Bevor es zu einem Abfall der Glukose kommt, muss mittels entsprechender Infusionslösung gegengesteuert werden.
Auch die verwendeten Narkosegeräte müssen auf solch kleine Tiere ausgelegt sein.
Nur der Vollständigkeit halber erwähne ich die statistisch häufiger auftretenden Verengungen oder gar das Zusammenfallen der Luftröhre (Trachealkollaps) und spezielle Herzerkrankungen (Myxomatöse Mitralklappenerkrankungen). Diese Probleme sollten im Rahmen der Untersuchung (ob vor einer Narkose oder im Rahmen des jährlich Check-Ups) auffallen und entsprechend aufgearbeitet werden.
Die kleinen Hunde verlangen also nicht nur eine intensivere Beobachtung und Betreuung durch ihre Halter:innen sondern haben auch aus medizinischer Sicht besondere und intensive Betreuung nötig!
Sie stellen uns Tierärzt:innen vor echte Herausforderungen und verursachen mit adäquater Versorgung einige Mehrkosten im Vergleich zu normal gewachsenen Hunderassen.
Um gleich ein paar Aufschreien den Wind aus den Segeln zu nehmen:
Nein nicht jeder „normal große“ Hund ist gesund.
Ja, auch das andere Extrem (also Riesenrassen), hat massive gesundheitliche Probleme.
Nein, dass ist keine Hetzjagd auf Kleinsthunderassen, sondern Aufklärungsarbeit, die anscheinend noch immer nicht überall angekommen ist - deswegen machen wir weiter! 💪🏽