01/07/2025
"Es gibt eine neue Studie zu konformationellen Augenliderkrankungen beim Hund. Und was sie zeigt, ist im Grunde nichts Neues. Es ist die wiederholte, wissenschaftliche Bestätigung eines Problems, das jeder mit offenen Augen in der Hundewelt seit Langem sieht: Wir züchten sehenden Auges Leid. Eine Flut von Studien, unter anderem aus dem renommierten VetCompass-Programm des Royal Veterinary College (RVC), liefert eine erdrückende Datenlage und eine schonungslose Anklage gegen Zuchtpraktiken, die Ästhetik über die Gesundheit stellen.
Die Fakten: Nüchtern und beschämend
Die Forscher haben die Daten von hunderttausenden Hunden ausgewertet. Eine Studie kommt zum Schluss, dass etwa einer von 70 Hunden (1,4 %) betroffen ist. Eine andere RVC-Studie fand bei einer Analyse von über 2,2 Millionen Hunden eine Häufigkeit von etwa einem von 300 Tieren (0,36 %). Doch egal, welche Zahl man heranzieht, das Fazit bleibt dasselbe: Tausende Hunde leiden an schmerzhaften Lidfehlstellungen wie dem Entropium (einem nach innen gerollten Lid, dessen Haare auf der Hornhaut scheuern) oder dem Ektropium (einem hängenden, nach außen gerollten Lid, das das Auge schutzlos macht).
Die Listen der Rassen mit dem höchsten Risiko lesen sich wie ein "Who is Who" der Extreme. Eine Studie identifiziert den Mastino Napoletano (fast 69-fach höheres Risiko), die Dogue de Bordeaux (>50-fach höheres Risiko) und die Bulldogge (>49-fach höheres Risiko) als Spitzenreiter. Eine weitere Analyse zeigt, dass bei manchen Rassen die Erkrankung so häufig ist, dass sie fast als "normal für die Rasse" gilt. In einem einzigen Jahr wurde die Diagnose bei 15,5 % der Shar-Pei, 9,6 % der Chow-Chows und 9,5 % der Mastino Napoletano gestellt. Doch die Liste ist noch länger und bestätigt, dass das Problem weitaus breiter ist, was durch zahlreiche andere Belege und die Rassestandards selbst belegt wird. Ein Paradebeispiel ist der (English) Mastiff: Obwohl er in manchen Auswertungen nicht in den Top-Listen auftaucht, ist seine Prädisposition für Lidfehlstellungen eine bekannte Tatsache, die direkt aus der Zucht auf einen massiven Kopf mit loser Haut resultiert.
Mehr als ein Schönheitsfehler: Ein Leben mit Schmerzen
Was bedeutet es für einen Hund, ein Entropium zu haben? Die Fachtierärztin für Augenheilkunde Dr. Minna Mustikka, Mitautorin einer der Studien, findet dafür klare Worte:
"Als engagierte Spezialistin für Veterinär-Ophthalmologie erlebe ich die herzzerreißenden Folgen von konformationellen Augenlidproblemen aus erster Hand. In meiner täglichen Praxis treffe ich Hunde, die unter Schmerzen und Leid durch Augenprobleme leiden, die durch eine falsche Lidstellung verursacht werden, welche oft auf ungesunde Erscheinungsbilder in der Hundezucht zurückzuführen ist. Diese Realität erfüllt mich mit Traurigkeit, da ein solches Leid nicht nur unnötig, sondern vollständig vermeidbar ist."
Ihre Worte verdeutlichen die Qual: Es ist, als hätte man konstant Wimpern im Auge, die bei jedem Blinzeln über die Hornhaut kratzen. Dies führt zu chronischen Schmerzen, Tränenausfluss, Rötungen und im schlimmsten Fall zu Hornhautgeschwüren, die zur Erblindung führen können. Bei über einem Viertel der betroffenen Hunde ist eine Operation nötig, um den von Menschen angezüchteten Defekt zu korrigieren.
Die Verantwortung liegt bei uns allen
Seit Jahrzehnten prangern Veterinärmediziner die Zustände an, kritisieren Zuchtverbände und Züchter – doch die Mühlen mahlen langsam, wenn überhaupt. Die Erfahrung zeigt: Echte Veränderung entsteht fast ausschließlich durch Druck. Dieser Druck muss von zwei Seiten kommen: vom Gesetzgeber und von uns, den Käufern.
Wegweisende Gerichtsurteile wie in den Niederlanden oder Norwegen belegen das eindrucksvoll. Dort wurden Zuchtverbände gerichtlich gezwungen, die Ausgabe von Ahnentafeln an Gesundheitsnachweise zu koppeln, oder die Zucht ganzer Rassen wurde wegen systemimmanenter Leiden verboten. Das zeigt: Gesetze wie der §11b in Deutschland sind vorhanden, doch sie entfalten ihre Wirkung erst, wenn der juristische Druck ihre konsequente Anwendung erzwingt.
Mindestens genauso entscheidend ist aber der Druck, den jeder Einzelne von uns ausüben kann. Die Verantwortung endet nicht beim Gesetzgeber. Solange Käufer bereit sind, für ein "niedliches" faltiges Gesicht oder "traurige" Hängeaugen zu bezahlen, ohne die medizinischen Konsequenzen zu hinterfragen, schaffen sie den Markt, der diesen Kreislauf aus Qualzucht und Leid am Leben erhält.
Was kannst du also tun?
Informiere dich: Bevor du dich für eine Rasse entscheidest, recherchiere deren gesundheitliche Veranlagungen. Sei skeptisch bei Rassen, deren extreme körperliche Merkmale als "Standard" gelten.
Stelle kritische Fragen: Frage Züchter direkt nach Augenproblemen und anderen rassetypischen Erkrankungen bei den Elterntieren und in der Zuchtlinie. Lass dich nicht von Show-Erfolgen blenden. Gesundheit ist nicht verhandelbar.
Priorisiere Gesundheit über Ästhetik: Unterstütze Züchter und Vereine, die nachweislich auf Gesundheit und Funktionalität selektieren, anstatt extreme Merkmale zu fördern.
Die Faktenlage ist erdrückend. Die Zucht auf Merkmale wie Gigantismus und Kurzköpfigkeit führt vorhersehbar zu einer Kaskade von Leiden. Die Einordnung als Qualzucht gemäß §11b des deutschen Tierschutzgesetzes ist daher aus fachtierärztlicher Sicht eine logische Konsequenz, da das Auftreten von Schmerzen, Leiden und Schäden bei den Nachkommen erwartet werden muss. Dr. Mustikka schließt mit einem Appell, der uns alle betrifft:
"Obwohl es beträchtliche Anstrengungen und zahlreiche sorgfältig abgewogene Entscheidungen erfordert, sollte es jedermanns Pflicht sein, diesen Wandel herbeizuführen."
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Link zur Studie: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0326526
Link zur Veterinary Voices UK: https://www.facebook.com/veterinaryvoicesuk/posts/1523340948910644
Link zum Qualzucht-Evidenz Netzwerk (QUEN): https://qualzucht-datenbank.eu/ -> Hier findet man auch weitere Infos zum Ektropium https://qualzucht-datenbank.eu/merkblatt-hund-augen-ektropium/ oder zum Entropium https://qualzucht-datenbank.eu/merkblatt-hund-augen-entropium/"
Es gibt eine neue Studie zu konformationellen Augenliderkrankungen beim Hund. Und was sie zeigt, ist im Grunde nichts Neues. Es ist die wiederholte, wissenschaftliche Bestätigung eines Problems, das jeder mit offenen Augen in der Hundewelt seit Langem sieht: Wir züchten sehenden Auges Leid. Eine Flut von Studien, unter anderem aus dem renommierten VetCompass-Programm des Royal Veterinary College (RVC), liefert eine erdrückende Datenlage und eine schonungslose Anklage gegen Zuchtpraktiken, die Ästhetik über die Gesundheit stellen.
Die Fakten: Nüchtern und beschämend
Die Forscher haben die Daten von hunderttausenden Hunden ausgewertet. Eine Studie kommt zum Schluss, dass etwa einer von 70 Hunden (1,4 %) betroffen ist. Eine andere RVC-Studie fand bei einer Analyse von über 2,2 Millionen Hunden eine Häufigkeit von etwa einem von 300 Tieren (0,36 %). Doch egal, welche Zahl man heranzieht, das Fazit bleibt dasselbe: Tausende Hunde leiden an schmerzhaften Lidfehlstellungen wie dem Entropium (einem nach innen gerollten Lid, dessen Haare auf der Hornhaut scheuern) oder dem Ektropium (einem hängenden, nach außen gerollten Lid, das das Auge schutzlos macht).
Die Listen der Rassen mit dem höchsten Risiko lesen sich wie ein "Who is Who" der Extreme. Eine Studie identifiziert den Mastino Napoletano (fast 69-fach höheres Risiko), die Dogue de Bordeaux (>50-fach höheres Risiko) und die Bulldogge (>49-fach höheres Risiko) als Spitzenreiter. Eine weitere Analyse zeigt, dass bei manchen Rassen die Erkrankung so häufig ist, dass sie fast als "normal für die Rasse" gilt. In einem einzigen Jahr wurde die Diagnose bei 15,5 % der Shar-Pei, 9,6 % der Chow-Chows und 9,5 % der Mastino Napoletano gestellt. Doch die Liste ist noch länger und bestätigt, dass das Problem weitaus breiter ist, was durch zahlreiche andere Belege und die Rassestandards selbst belegt wird. Ein Paradebeispiel ist der (English) Mastiff: Obwohl er in manchen Auswertungen nicht in den Top-Listen auftaucht, ist seine Prädisposition für Lidfehlstellungen eine bekannte Tatsache, die direkt aus der Zucht auf einen massiven Kopf mit loser Haut resultiert.
Mehr als ein Schönheitsfehler: Ein Leben mit Schmerzen
Was bedeutet es für einen Hund, ein Entropium zu haben? Die Fachtierärztin für Augenheilkunde Dr. Minna Mustikka, Mitautorin einer der Studien, findet dafür klare Worte:
"Als engagierte Spezialistin für Veterinär-Ophthalmologie erlebe ich die herzzerreißenden Folgen von konformationellen Augenlidproblemen aus erster Hand. In meiner täglichen Praxis treffe ich Hunde, die unter Schmerzen und Leid durch Augenprobleme leiden, die durch eine falsche Lidstellung verursacht werden, welche oft auf ungesunde Erscheinungsbilder in der Hundezucht zurückzuführen ist. Diese Realität erfüllt mich mit Traurigkeit, da ein solches Leid nicht nur unnötig, sondern vollständig vermeidbar ist."
Ihre Worte verdeutlichen die Qual: Es ist, als hätte man konstant Wimpern im Auge, die bei jedem Blinzeln über die Hornhaut kratzen. Dies führt zu chronischen Schmerzen, Tränenausfluss, Rötungen und im schlimmsten Fall zu Hornhautgeschwüren, die zur Erblindung führen können. Bei über einem Viertel der betroffenen Hunde ist eine Operation nötig, um den von Menschen angezüchteten Defekt zu korrigieren.
Die Verantwortung liegt bei uns allen
Seit Jahrzehnten prangern Veterinärmediziner die Zustände an, kritisieren Zuchtverbände und Züchter – doch die Mühlen mahlen langsam, wenn überhaupt. Die Erfahrung zeigt: Echte Veränderung entsteht fast ausschließlich durch Druck. Dieser Druck muss von zwei Seiten kommen: vom Gesetzgeber und von uns, den Käufern.
Wegweisende Gerichtsurteile wie in den Niederlanden oder Norwegen belegen das eindrucksvoll. Dort wurden Zuchtverbände gerichtlich gezwungen, die Ausgabe von Ahnentafeln an Gesundheitsnachweise zu koppeln, oder die Zucht ganzer Rassen wurde wegen systemimmanenter Leiden verboten. Das zeigt: Gesetze wie der §11b in Deutschland sind vorhanden, doch sie entfalten ihre Wirkung erst, wenn der juristische Druck ihre konsequente Anwendung erzwingt.
Mindestens genauso entscheidend ist aber der Druck, den jeder Einzelne von uns ausüben kann. Die Verantwortung endet nicht beim Gesetzgeber. Solange Käufer bereit sind, für ein "niedliches" faltiges Gesicht oder "traurige" Hängeaugen zu bezahlen, ohne die medizinischen Konsequenzen zu hinterfragen, schaffen sie den Markt, der diesen Kreislauf aus Qualzucht und Leid am Leben erhält.
Was kannst du also tun?
Informiere dich: Bevor du dich für eine Rasse entscheidest, recherchiere deren gesundheitliche Veranlagungen. Sei skeptisch bei Rassen, deren extreme körperliche Merkmale als "Standard" gelten.
Stelle kritische Fragen: Frage Züchter direkt nach Augenproblemen und anderen rassetypischen Erkrankungen bei den Elterntieren und in der Zuchtlinie. Lass dich nicht von Show-Erfolgen blenden. Gesundheit ist nicht verhandelbar.
Priorisiere Gesundheit über Ästhetik: Unterstütze Züchter und Vereine, die nachweislich auf Gesundheit und Funktionalität selektieren, anstatt extreme Merkmale zu fördern.
Die Faktenlage ist erdrückend. Die Zucht auf Merkmale wie Gigantismus und Kurzköpfigkeit führt vorhersehbar zu einer Kaskade von Leiden. Die Einordnung als Qualzucht gemäß §11b des deutschen Tierschutzgesetzes ist daher aus fachtierärztlicher Sicht eine logische Konsequenz, da das Auftreten von Schmerzen, Leiden und Schäden bei den Nachkommen erwartet werden muss. Dr. Mustikka schließt mit einem Appell, der uns alle betrifft:
"Obwohl es beträchtliche Anstrengungen und zahlreiche sorgfältig abgewogene Entscheidungen erfordert, sollte es jedermanns Pflicht sein, diesen Wandel herbeizuführen."
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Link zur Studie: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0326526
Link zur Veterinary Voices UK: https://www.facebook.com/veterinaryvoicesuk/posts/pfbid0ysdCTF1FmotidwQ5WKfSyGwaUrKZTGCPgqiEgA55PMBBNAHvysAEEWyCt4oYiFsml
Link zum Qualzucht-Evidenz Netzwerk (QUEN): https://qualzucht-datenbank.eu/ -> Hier findet man auch weitere Infos zum Ektropium https://qualzucht-datenbank.eu/merkblatt-hund-augen-ektropium/ oder zum Entropium https://qualzucht-datenbank.eu/merkblatt-hund-augen-entropium/
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