24/08/2025
Ich schreibe gerade wieder ein Buch und es geht darin unter Anderem um dieses Thema:
Eigentlich ist es erstaunlich, wie schwer manches Verhalten für uns zu begreifen ist, obwohl wir selbst ganz ähnliche Dinge tun, um mit stressigen oder neuen oder unbegreiflichen Situationen zurechtzukommen.
Elfies Ballwünsche beim Spazierengehen habe ich zum Beispiel irgendwann einmal beim Autofahren plötzlich vollkommen verstanden. Ich konnte zutiefst nachvollziehen, warum und in welchem Zusammenhang sie unbedingt ihren Ball knautschen muss und warum er keinesfalls daheim vergessen werden darf.
Es sind die gleichen Gefühle, die mich dazu veranlassen, mir eine Zigarette zu drehen.
Vor und nach „Hürden“ die wir zu bewältigen haben, wenn wir nachdenken müssen, in entspannten Pausen, beim Schreiben (ich), beim Herstellen von Erdskulpturen (sie), beim Sitzen am Wasser, in Zeiten, in denen wir uns Pausen oder Abstand verschaffen müssen und oft auch einfach aus Lust daran. Aber niemals, wenn wir richtig aufgeregt sind oder toben und schimpfen müssen. Völlig idente Gefühle sind das, die uns dazu veranlassen, zum Ball oder zur Zigarette zu greifen.
Es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass die Gefühlswelt von Hunden und Menschen nahezu deckungsgleich funktioniert. Wir müssten in vielen Bereichen eigentlich nur überlegen, wie wir uns in bestimmten Situationen fühlen, um manche Verhaltensweisen nachvollziehen zu können. Warum fällt uns das so schwer?
Ich glaube, das ist einerseits so, weil die wenigsten Menschen sich die Mühe machen, der allgemein gültigen Meinung über Hunde zu widersprechen (auch gegenüber sich selbst) und weil andererseits die Erkenntnis, was wir ihnen, obwohl wir sie ja angeblich so sehr lieben, in vollem Bewusstsein dessen alles antun, ein Schuldgefühl hervorrufen würde, das jeden Katholiken vor Neid erblassen ließe.
Was wir allerdings auch mit größtmöglicher Empathie nicht schaffen können, ist die Differenz unserer Nasenleistungen zu überbrücken. Auch unter höchster Anstrengung bleibt uns die Welt der Gerüche weitestgehend verborgen. Genau die macht aber einen bedeutenden Teil dessen aus, wie Hunde die Welt wahrnehmen.
Hunde können aber nicht wissen, dass wir nichts riechen. Viele unserer Reaktionen auf ihre Mitteilungen müssen ihnen daher völlig absurd erscheinen. Das erklärt für mich zum Beispiel die fassungslosen Blicke, die mir meine Hunde zuwerfen, wenn ich auf ihr empörtes Geschrei mit „… aber das ist ja nur ein kleines Hunderl und tut uns nix…“ antworte. „Ja sag? Riechst Du das nicht? Riechst Du nicht, was der sagt?“ scheinen sie zu rufen und mich für grenzenlos ignorant zu halten.
Und das bin ich ja auch in solchen Situationen, weil mir einfach die Informationen fehlen, die ihnen so deutlich zur Verfügung stehen und die, wie gesagt, einen großen Teil ihrer Wahrnehmung ausmachen. So, als würde ich lediglich eine billige schwarz-weiß Kopie von Van Goghs Sonnenblumen sehen und sie das gesamte Kunstwerk.
„Schau Dir doch die schönen Farben an!“
„Welche Farben?“
Hunde sind aber viel geduldiger mit unseren Unzulänglichkeiten, als wir mit ihren oft vergeblichen Bemühungen, unseren Normen zu entsprechen.
Aber damit nicht genug. Nicht nur, dass wir ohnehin die Hälfte dessen, was für sie von Bedeutung ist, nicht mitbekommen, lassen wir auch ihre Individualität meistens nicht gelten. Wir reagieren auf vermeintliches Fehlverhalten mit Erziehungsprogrammen und Training. Social Media und auch manche Fernsehsender sind voll von Lichtgestalten, die uns erklären wie Hunde ticken und wie man damit umgeht, um selbst möglichst gut dazustehen. Kaum einer dieser Selbstdarsteller interessiert sich dabei aber für das, was die einzelnen Hunde sagen. Was für das Individuum von Bedeutung ist.
Der Hund zieht an der Leine -> Er hat wahlweise keinen Respekt, nimmt zuviel Raum ein, ist ungehorsam, braucht ein Halsband anstelle eines Geschirrs, will die Rudelführung übernehmen oder irgendetwas anderes, das in der Menschenwelt als Anlass gilt, die eigene, gottgewollte Überlegenheit zur Schau zu stellen.
Man muss die Führung übernehmen. Der Hund soll sich am Menschen orientieren.
Der Hund bellt Artgenossen an (wird ohne jeden Zweifel immer als „Pöbeln“ angesehen) -> Er ist wahlweise respektlos, nimmt zuviel Raum ein, ist ungehorsam und so weiter und so fort… Man muss die Führung übernehmen. Der Hund soll sich am Menschen orientieren.
Der Hund bellt am Gartenzaun -> siehe oben
Nix gegen „Führung“ wenn das bedeutet, jemanden verlässlich und loyal durch für ihn unverständliche, aber unvermeidbare Situationen zu manövrieren. Meistens bedeutet „Führung“ aber, dass man sich selbst für unfehlbar hält und den Wahrnehmungen des Hundes jegliche Ernsthaftigkeit abspricht.
Nicht nur, dass es „den Hund“ genauso wenig gibt wie „den Menschen“, es wird auch mit einfachster Primatenpsychologie über diffizile canide Ansprüche drübergefahren.
Wo wir einander treffen ist die Gefühlswelt und nicht die der Wahrnehmung und der individuellen Reaktionen darauf.
Allein für das Bellen am Gartenzaun haben schon meine eigenen vier Hunde ganz unterschiedliche Motive. Ich versuche zu übersetzen:
Eddie (freudig, wedelnd, flach, seitlich auf allen Vieren am Zaun stehend, bereit sich zum Bauchstreicheln auf die Seite zu rollen) - „Ah Hallo! Ich kenn Dich. Komm doch rein! Besuch ist nett!“ Eddie meldet Passanten so gut wie gar nicht. Außer er kennt und mag jemanden, dann wird er richtig laut. Besonders lustig ist immer der Dialog zwischen ihm und meiner Nachbarin.
Er sagt: „Komm rein, komm rein!“
Sie antwortet „Ich bins nur. Musst nicht bellen“.
Er: „Das weiß ich doch! Komm rein! Komm rein!“. Eddie mag Menschen, ist ihnen gegenüber völlig arglos und würde sich auch über Fremde, die ihm wohlgesonnen sind freuen. Eddie freut sich immer laut.
Wenzel (drohend, frontal zweibeinig am Zaun aufgestellt, angespannt) – „Bleib draußen, ich warne Dich! Ich warne, warne, warne, warne Dich! Komm ja nicht rein!“. Kennt und mag er jemanden, ist er gleich wieder still. Das nachbarliche Gespräch am Gartenzaun hat bei ihm also durchaus Sinn. Er würde fremde Personen, die sich Zutritt verschaffen, heftig attackieren.
Elfie (aufmerksam, aber neutral, nicht zum Zaun laufend, sondern an Ort und Stelle bleibend) – „Da geht jemand! Da geht jemand! Da geht jemand!“ Auch bei ihr ist das nachbarliche Gespräch hilfreich. Aber auch sonst ist sie gleich wieder still. Sie teilt nur ihre Wahrnehmung mit.
Vivi (kommentiert auf Grund ihres Alters nur Geräusche, die sie noch hören, aber nicht zuordnen kann) – „Was? Warum bellt Ihr? Was ist los? Was ist los? Was? Was? Was? Was...“. Sie ist eine, die sich richtig in Rage reden kann und dann auch nicht mitkriegt, wenn die anderen schon längst wieder schweigen.
Vier völlig unterschiedliche Beweggründe.
Wäre ich eine Trainer-Lichtgestalt wäre meine Idee dazu vermutlich, das Bellen zu verbieten. Der Hund hat sich schließlich am Menschen zu orientieren und dessen Befehle anzunehmen. Egal, welche Gründe er für sein Verhalten hat.
Mir hingegen erscheint es logischer, auf all die Aussagen zu antworten. Ich gehe also zum Zaun und frage meine Nachbarin, ob sie reinkommen möchte oder antworte im Fall anderer Passanten allgemein gehalten „Danke! Ich habs eh gehört. Das passt schon. Da geht nur jemand vorbei. Geht uns nix an! Alles gut“.
Das funktioniert genauso schnell und genauso gut (oder schlecht) wie ein Verbot, aber ich muss nichts durchsetzen oder meine Macht betonen und im Fall größerer oder längerer Aufregung gehen wir eben gemeinsam ins Haus. Ich glaube, dass diese Vorgehensweise für Hunde verständlicher ist, als einfach zum Schweigen gebracht zu werden wie eine lästige Alarmanlage.
Ein großer Vorteil solcher Gespräche mit Hunden ist auch, dass Hunde tatsächlich viel mehr von unserer Sprache verstehen, je öfter, logischer und ehrlicher wir sie einsetzen. Allerdings muss man auch lernen, mit den Antworten zu leben. Auch Hunde müssen „Nein!“ sagen dürfen.