10/12/2025
Lohnt sich sehr alles bis zum Schluss durchzulesen! Vielleicht für viele eine neue Erkenntnis 😜
DEN HUND VERSTEHEN – WARUM WIR SEINEN KOPF GEGEN IHN ARBEITEN LASSEN
Den Hund auf der Höhe unserer heutigen Erkenntnisse zu verstehen, ist eigentlich einfach:
Ein Hund möchte genauso ruhig, bewusst, sozial eingebunden und erwachsen durch sein Leben gehen wie wir Menschen. Sein ganzer Organismus versucht, Stress zu vermeiden, Kontrolle zu behalten und passende soziale Entscheidungen zu treffen.
Wir dagegen verhalten uns, als hätte er innen drin ein triebiges Reptil sitzen, das man nur ständig „anwerfen“ und „auslasten“ muss. Also drehen wir an seiner Erregung herum, locken, belohnen, pushen, rufen Kommandos – und torpedieren damit genau das, was er selbst die ganze Zeit versucht: sein inneres „Reptil“ kleinzuhalten und im Bewusstsein zu bleiben.
Warum das so ist und wie genau das im Hundehirn abläuft, das schauen wir uns jetzt Schritt für Schritt an.
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DAS HIRN DES HUNDES – ALTE UND NEUE TEILE
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Das Gehirn des Hundes ist in seinen Grundstrukturen etwas älter als unseres. Er hat, wie wir, älteren und neueren „Bauabschnitte“, aber sie arbeiten mit einem etwas anderen Kräfteverhältnis.
Die älteren Areale – grob gesagt Stammhirn und Basalganglien, umgangssprachlich oft „Reptilienhirn“ genannt (eigentlich eine vereinfachte Metapher) – arbeiten schnell, automatisch und kraftvoll. Sie nehmen alle Reize auf, die über Nase, Ohren, Augen und Haut reinkommen, mischen daraus einen Gefühlszustand und suchen in einer Art innerem Archiv nach einem passenden Motorprogramm.
Ein bestimmter Geruch, eine plötzliche Bewegung, ein Ton, eine Veränderung im Bodengefühl: alles zusammen ergibt einen Gefühlsmix. Das alte Hirn greift zur „Tabelle“, schaut, was dazu passt, und startet das entsprechende halbautomatische Programm schon einmal an.
Das siehst du an der Oberfläche als Ausdrucksverhalten: Ohren verändern sich.
Rute verschiebt sich.
Tasthaare, Maulspalte, Augenbrauen, Körperspannung – alles passt sich an.
Das ist keine Deko. Das ist der erste Entwurf eines Verhaltens.
Das, was beim Reptil früher ein explosionsartiges „wegducken und wegspringen“ war, wenn ein Schatten fiel, ist beim Hund heute eine ganze Palette fein abgestimmter Mikrobewegungen und Spannungen.
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WENN DAS BEWUSSTSEIN DAZUKOMMT
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Über diesem alten System liegen die neueren Hirnareale: der bewusste, langsamere, sozial denkende Teil. Hier wird abgewogen, erinnert, bewertet.
Das neue Hirn nimmt denselben Gefühlsmix wahr, sieht den Vorschlag des alten Systems und stellt Fragen: Soll dieses Programmlaufen einfach weiterlaufen?
Muss es angepasst werden?
Muss es komplett abgebrochen werden?
Dazu durchsucht es das Gedächtnis nach ähnlichen Gefühlsmustern und Situationen: Was ist damals passiert, als sich das so angefühlt hat?
Hat dieses Verhalten genutzt oder geschadet?
Und vor allem: Was bedeutete es für die soziale Gruppe?
Dieses Zusammenspiel kennst du auch aus dir selbst, nur merkst du es kaum. Du erschrickst, dein Körper ist schon zur Seite gesprungen, und erst danach wird dir bewusst, was passiert ist. Erst dann bewertet dein Bewusstsein die Situation.
Beim Hund ist dieser Ablauf der Normalzustand.
Jedes Mal, wenn er einen Schritt macht, verändert sich sein Gefühlszustand: Es riecht anders, es klingt anders, es sieht anders aus, der Boden fühlt sich anders an. In einem fließenden Übergang beginnt der Zyklus: Gefühlsmix, instinktiver Vorschlag, bewusste Prüfung.
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DER ENTSCHEIDENDE REGELKNOPF: ERREGUNG
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Jetzt kommt der Punkt, an dem alles steht und fällt: das Erregungslevel.
Die Höhe der Erregung entscheidet, wer im Hirn die Kontrolle über den Körper hat.
Bei niedriger Erregung steuert das Bewusstsein.
Der Hund kann innehalten, erinnern, abwägen, sozial denken und passende Entscheidungen treffen.
Steigt die Erregung, bekommt das alte System mehr Einfluss.
Die halbautomatischen Motorprogramme drängen nach vorne, das Bewusstsein läuft noch mit, aber mit weniger Macht.
Steigt die Erregung weiter, übernimmt das alte Hirn vollständig.
Die Motorprogramme „ziehen“ dem Hund seinen Körper unter den Pfoten weg. Das Bewusstsein sitzt dann nur noch als Trittbrettfahrer hinten drin und schaut zu. Es würde gerne eingreifen – kann aber nicht mehr.
Und genau mit dieser Verschiebung spielen wir im Hundetraining.
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WAS DRESSUR WIRKLICH MACHT
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In der klassischen Unterordnung, aber genauso in moderner positiver Verstärkung, nutzen wir diesen Mechanismus aus, ohne ihn zu kennen.
Wir bauen Erwartung auf.
Wir locken.
Wir setzen ein Leckerli als Ziel.
Wir erzeugen Spannung im Hund.
Damit erhöhen wir gezielt sein Erregungslevel.
Und je höher diese innere Spannung, desto leichter können die alten halbautomatischen Programme den Körper übernehmen.
Wir nehmen also ein Verhalten, das ursprünglich aus sozialen Erwägungen heraus gezeigt wurde – zum Menschen kommen, sich hinsetzen, in Nähe bleiben – und verbinden es plötzlich mit Futter. Oder wir locken den Hund in ein Verhalten hinein, das zunächst aus seinem inneren „richtig/falsch“-Empfinden heraus entstehen würde.
Halten wir ihm das Leckerli vor die Nase, läuft wieder derselbe Prozess: Sinnesreize über Augen und Nase.
Gefühlsmix im alten Hirn.
Vorschlag: Leckerli ansteuern, nehmen, fressen.
Das geht sehr automatisch, vor allem, wenn es dicht vor der Nase ist. Dann bauen wir eine Schwierigkeit ein. Vielleicht muss er sich setzen, Umwege laufen, irgendetwas leisten. Das nächste Motorprogramm schiebt sich nach vorne. Soziale Erwägungen spielen in dem Moment kaum noch eine Rolle: Es fühlt sich gut und spannend an, also macht der Hund.
Wird dieser Ablauf oft genug wiederholt, schreibt sich ein neues Motorprogramm fest.
Ein halbautomatisches Verhalten, das später ohne großes Nachdenken anspringt.
Halbautomatisch deshalb, weil es natürlich flexibel bleiben muss: Der Hund darf nicht stur auf gerader Linie gegen den Baum laufen, sondern muss Hindernisse umrunden, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Aber die grobe Struktur ist fest.
Je öfter wir dieselbe Start-Ziel-Strecke in derselben Stimmung durchspielen, desto tiefer brennt sich das Programm in die alten Hirnareale ein. Anfangs ist das Bewusstsein noch beteiligt und prüft, ob das für die Gruppe sinnvoll ist. Mit der Zeit läuft es zunehmend nebenher.
Am Ende haben wir ein Verhalten, das wir nach Belieben abrufen können –
sofern wir wieder Erregung aufbauen, damit das alte Hirn übernehmen kann.
Und genau das ist Dressur:
Wir treiben den Hund bewusst in einen Zustand, in dem sein Bewusstsein wenig zu sagen hat, damit das motorische Programm zuverlässig das tut, was wir erwarten.
Für Kommandos mag das praktisch erscheinen.
Für den Alltag ist es ein Desaster.
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DIESE AUTOMATISMEN NERVEN UNS SPÄTER
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All diese halbautomatischen Programme sind dieselben, die uns im Alltag um die Ohren fliegen:
Anspringen an der Tür.
Ziehen an der Leine.
Hinter Wild hinterher.
Aufdrehen bei Besuch.
Wir sagen dann: „Der Hund hört nicht.“
In Wahrheit hat er in diesen Momenten keinen Zugriff auf sein bewusstes System.
Interessant ist: Bei Hunden untereinander sieht der Mechanismus genauso aus, aber die soziale Kultur eines Rudels arbeitet dauerhaft daran, Automatismen gar nicht erst groß werden zu lassen.
Ein tief sozial entwickeltes Rudel baut über viele Generationen Strategien, Erfahrungen und Techniken auf, um Erregung niedrig zu halten und Bewusstsein stabil. Automatismen sollen gar nicht erst die Führung übernehmen.
Eigentlich genau das, was wir Menschen in unserer Kultur auch versucht haben: Impulse dämpfen, gesellschaftlich passend reagieren, bewusst bleiben.
Das Überraschende:
Hunde wollen dasselbe. Sie streben in die gleiche Richtung. Sie geben dieses Wissen innerhalb ihrer Sozialkultur weiter, von Generation zu Generation, und jede legt etwas drauf.
Sie sind uns damit näher, als viele dachten.
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WIE HUNDE BEWUSSTHEIT SCHÜTZEN
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Um weiter im Bewusstsein bleiben zu können, muss der Hund vor allem eines im Blick behalten: seine Erregung.
Er lernt im Laufe seines Lebens und über seine soziale Umgebung:
Wenn ich mich vom Reiz ein Stück entferne, wird es leiser in mir.
Wenn ich mich so hinstelle, dass mein Mensch zwischen mir und dem Reiz steht, wird es verträglicher.
Wenn ich ein wenig aus der Situation rausgehe, behalte ich die Kontrolle.
Man sieht also Hunde, die sich aktiv positionieren, die Abstand herstellen, die sich bewusst so sortieren, dass sie nicht überrollt werden. Sie wollen nicht „weg von dir“, sie wollen weg von der Erregung.
Hunde versuchen ständig, ihr Erregungsniveau niedrig zu halten, um bewusst entscheiden zu können. Sie wünschen sich möglichst wenig Erwartungsspannung – weder große Belohnungsversprechen noch permanenten Druck oder Drohung. Keine innere Decke, kein Dauerstress.
Dann können sie die Umwelt bewusst wahrnehmen, bewerten und soziale Lösungen finden.
Wenn sie das dürfen, wirken sie in unseren „Trainingsländern“ oft fast krank:
Langsam.
Unaufgeregt.
Beinahe langweilig.
So, als wären sie „fürchterlich erwachsen“ und an nichts interessiert.
In Wahrheit ist das der Idealzustand, den sie anstreben.
So, wie wir Menschen im Grunde auch, wenn wir ehrlich sind.
Ein bisschen Spaß zwischendurch ist völlig in Ordnung. Mal ein kurzes Aufdrehen. Aber nicht so viel, dass der Hund in den völligen Kontrollverlust rutscht.
Und der Hund muss viel genauer aufpassen als wir, weil sein Abstand zum Kontrollverlust kleiner ist. Er hat weniger Luft, bis das alte System übernimmt.
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WENN TRAINER SAGEN: „ALLES IST KONDITIONIERUNG“
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Vor diesem Hintergrund klingt der Standardsatz aus vielen Hundeschulen bitter:
„Das ganze Leben ist Konditionierung, es ist völlig egal, wie der Hund zu seinem Verhalten kommt.“
Genau das ist nämlich nicht egal.
Es macht einen großen Unterschied, ob ein Verhalten aus Bewusstsein, sozialer Abwägung und innerer Ruhe entsteht oder ob es ein konditioniertes Motorprogramm ist, das immer dann anspringt, wenn genug Erregung im System ist.
In der Sprache der Hirnteile heißt dieser Satz:
„Es ist egal, ob dein Hund als bewusstes Wesen handeln darf oder ob wir lieber mit seinen ältesten Reflexsystemen spielen.“
Noch falscher kann es kaum werden.
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HÜNDISCHE SPRACHE – BEWEGUNG ALS GEDANKENFRAGMENT
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Hunde haben keine gesprochene Sprache, aber sie haben eine Vorstufe von dem, was wir mit Gesten tun.
Sie nutzen angefangene Bewegungen – kleinste Fragmente – als Sprache.
Ein Hund zuckt einen Millimeter mit der Körperspannung, mit Hals, Ohren, Rute nach links. Dieser winzige Ansatz sagt: „Links?“
Der andere Hund fühlt innerlich nach, wie sich „links“ anfühlt. Vielleicht stimmt es für ihn nicht. Vielleicht fühlt sich „rechts“ besser an. Also antwortet er seinerseits mit einer Mikrobewegung nach rechts.
So diskutieren Hunde Richtungen, Handlungsoptionen, Situationen, ohne wirklich zu laufen.
Sie denken die Bewegungen weiter – im Kopf, im Körpergefühl –, ohne sie ausszuführen.
Solange die Erregung niedrig bleibt, bleiben es nur Mikrobewegungen.
Das alte Hirn liefert Vorschläge, das Bewusstsein würgt sie sanft ab. Genau in diesem Abwürgen entsteht Sprache. Das nicht ausgeführte Verhalten wird zur Geste.
Steigt die Erregung, ändert sich das Bild.
Wird kein Konsens gefunden, steigt die innere Spannung.
Mit steigender Spannung bekommen die Motorprogramme mehr Kraft, können sich mehr ausdrücken, mehr Energie liefern. Aus der feinen Geste wird eine größere Bewegung. Aus der größeren Bewegung wird schließlich ein echtes Verhalten.
Gibt es am Ende Einigung, sinkt die Erregung wieder. Das Bewusstsein übernimmt erneut.
Die alten Hirnteile dürfen dann wieder das tun, was sie am besten können: Muskeln automatisch sinnvoll anspannen und lösen, damit aus der bewusst gewählten Richtung eine saubere Bewegung wird.
Wie bei uns: Du sagst dir bewusst „Ich gehe jetzt nach rechts“, aber du rechnest nicht aus, welche Muskeln du in welchen Winkeln betätigen musst. Dafür ist genau dieses „alte System“ zuständig.
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WELCHE ERINNERUNGEN HINTER HÜNDISCHEN GESTEN STECKEN
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Diese angefangenen Bewegungen, diese hündische Sprache, hängen nicht in der Luft. Sie sind im Hund mit Erinnerungen verknüpft.
Und zwar in der Regel mit Erinnerungen, die zu Ruhe, Entspannung und Sicherheit geführt haben. Das ist logisch: Der Hund versucht ja, in seinem Alltag möglichst selten in den Kontrollverlust zu geraten. Also orientiert sich seine Sprache an Wegen, die ihn in der Vergangenheit im Bewusstsein gehalten haben.
Wenn ein Hund eine bestimmte Mikrobewegung zeigt, ist das immer auch ein Angebot:
„Erinnere dich an diese frühere Lösung, die uns wieder entspannt hat.“
Die Hormonsituation dahinter unterscheidet sich deutlich von der Situation, in der Erregungsreize die Motorprogramme anschieben.
In der ruhigen, sozial lösungsorientierten Kommunikation dominieren Oxytocin und Serotonin. Die Gesamtstimmung ist weich, verbindend, entspannend. Dopamin ist höchstens ein kleiner Peak am Ende: „War gut, machen wir wieder so.“
Bei Reizen, die stressen und alte Programme losrollen lassen, sieht es anders aus:
Zuerst kommt ein deutlicher Dopamin-Schub. Der hält das System oben und treibt die Motorprogramme an, bis das Zielverhalten abgearbeitet ist. Erst danach fährt der Körper langsam runter, und das Bewusstsein kann wieder arbeiten.
Die eine Welt: kurze Dopamin-Spitze, viel Oxytocin, viel Serotonin, viel bewusste Kontrolle.
Die andere Welt: langer Dopamin-Hochstand, wenig bewusste Kontrolle, viel Automatismus.
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WARUM ES IMMER WIEDER EXPLODIERT – DAS TÜRKLINGEL-BEISPIEL
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Schauen wir auf eine Alltagsszene, die jeder kennt: Es klingelt an der Tür.
Allein das Geräusch aktiviert im Hund einen ganzen Kontext:
Menschen vor der Tür, Stimmen, Gerüche, frühere Szenen mit Besuch.
Viele dieser Erinnerungen sind voll mit Erregung und Dopamin.
Das alte Hirn bekommt seine Lieblingsmischung. Die Motorprogramme springen an.
Der Hund rennt, bellt, springt, verliert die Feinsteuerung.
Wäre er bei niedriger Erregung, könnte sein Bewusstsein eingreifen:
„Es klingelt. Ich kenne das. Das ist nicht gefährlich. Ich bleibe sitzen oder liegen.“
Das würde funktionieren, wenn der Hund die Chance bekäme, im Bewusstsein zu bleiben.
Jetzt tritt der Mensch in die Szene.
Er kommt oft selbst schon innerlich angespannt in den Raum, weil er ahnt, was passieren wird. Seine Körpersprache wird hektisch. Seine Stimme wird hoch, fordernd oder genervt. Seine Emotionen schlagen durch.
Für das alte Hirn des Hundes sind das alles Reize, die noch mehr Erregung erzeugen. Die Körpersprache und die Emotionen des Menschen werden ebenfalls in automatische Vorschläge übersetzt.
Und dann kommt das Kommando.
Ein Wort, das ausdrücklich dafür gebaut wurde, Motorprogramme anzuschalten:
„Sitz! Platz! Nein! Hier!“
Dieses Kommando ist in der Logik der Dressur ja nur dann „gut“, wenn es verlässlich in Erregung das gewünschte Programm ablaufen lässt. Es setzt also wieder Dopamin, Spannung, Energieschub oben drauf.
Wir haben jetzt:
Erinnerungen voller Erregung durch frühere Türklingelszenen.
Akute Erregung durch das aktuelle Klingeln.
Erregung durch die Emotionen und die Gestik des Menschen.
Und nochmal Erregung durch das Kommando.
Das Ergebnis ist kein Wunder.
Die Kontrolle kippt vollständig zu den alten Programmen.
Und trotzdem sagen wir danach oft: „Der Hund macht, was er will.“
In Wirklichkeit macht der Hund das, was seine alten Motorprogramme unter massivem Dopamin-Einfluss machen. Er selbst – als bewusster, sozial denkender Hund – wäre gerne viel ruhiger geblieben.
Besser wäre es gewesen, ihm ein hündisches, beruhigendes Signal zu geben.
Eines, das zur Erinnerung an Lösungen führt, bei denen Erregung nicht explodiert ist.
Dann hätte sich eine andere Art von Erinnerung aufgebaut: Türklingel – hündisches Signal – bleibende Ruhe – Erfolg als Gruppe.
Stattdessen haben wir mit menschlichem Stress, mit dressurhaften Kommandos und mit alten Überzeugungen eine perfekte Maschinerie gebaut, die genau das erzeugt, wovor wir am meisten Angst haben: Kontrollverlust.
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WAS DEIN HUND WIRKLICH WILL
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Das vielleicht Wichtigste in all dem:
Dein Hund will diese Kontrollverluste nicht.
Wenn er wieder im Bewusstsein ist und die Szene im Nachgang erlebt, registriert er sehr wohl die sozialen Folgen. Die angespannte Stimmung. Den genervten Menschen. Die chaotische Situation. Er würde vieles davon gerne vermeiden.
Aber er kann nicht, wenn seine Erregung zu hoch ist und das alte Hirn den Körper übernommen hat.
Wir hingegen verhalten uns oft so, als müssten wir nur ständig am Reptil in ihm ziehen, damit was „passiert“, und wundern uns dann, dass ausgerechnet dieses Reptil die Führung übernimmt.
Der Hund versucht in seinem Leben, sein inneres Reptil klein zu halten und im Bewusstsein zu bleiben.
Wir schaffen mit unserem Training immer wieder Situationen, in denen wir genau dieses Reptil groß machen – und dann ihm die Schuld geben.
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DIE ZENTRALE ERKENNTNIS
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Verhalten ist nicht in erster Linie ein Trainingsproblem.
Es ist ein Erregungsproblem.
Unser Job als Mensch wäre nicht, möglichst viele Motorprogramme in den Hund hinein zu installieren, sondern die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sein Bewusstsein möglichst lange und möglichst oft am Steuer bleiben kann.
Ein Hund im Bewusstsein entscheidet sozial sauber, sucht Ruhe, meidet unnötigen Stress und übernimmt Verantwortung für seine Rolle in der Gruppe.
Ein Hund in hoher Erregung verliert diese Fähigkeit und wird von Programmen gesteuert, die evolutionär näher am Reptil sind als am gemeinsam denkenden Rudeltier.
Und in genau diesem Spannungsfeld leben unsere Hunde:
Sie möchten mit uns als bewusste Wesen durchs Leben gehen.
Wir behandeln sie, als müsste man nur ihre Instinkte und Triebe effizient genug abrufen.
Die gute Nachricht:
Man kann lernen, mit dem Hund so zu kommunizieren, dass sein Bewusstsein stark bleibt, seine Erregung niedrig und sein inneres Reptil klein.
Aber das ist das Thema für den nächsten Schritt:
Wie du im Alltag hündisch kommunizierst, statt das Reptil anzufeuern.
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ABER ...
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Laufe ich mit einem Hund frei durch jede Ablenkung – durch die Stadt, über ein Volksfest oder durch in der Natur – dann schauen die Menschen. Die einen sind beeindruckt und glauben, ich hätte unglaublichen Trainingsaufwand betrieben und der Hund stehe unter perfekter Kontrolle. Die anderen bedauern den Hund, weil er so wenig „triebig“ wirkt, und denken, er müsse gebrochen, traurig oder krank sein. Oder ich bekomme den klassischen Vorwurf, dass meine Hunde ja gar nichts mehr dürfen.
Doch das Gegenteil ist wahr.
Der Hund ruht in sich. Er hat seinen Idealzustand erreicht – jenen Zustand, den ein erwachsener Hund anstrebt, genauso wie ein erwachsener Mensch Ruhe, Übersicht und innere Ordnung anstrebt. Nicht Anspannung, nicht Reizüberflutung, nicht Ekstase.
Der Hund schaut dann herab - nahezu kopfschüttelnd - auf das Chaos, verursacht durch die Primaten und die anderen Hunde, und denkt:
Kinder!
Nur unsere Vorstellung vom Hund widerspricht der Natur des Hundes.
Wir glauben, er müsse „wild“, „triebig“ oder „ausgelastet“ sein, um glücklich zu sein – und so bomben wir ihn zurück in die Steinzeit. Wir halten ihn künstlich auf Welpenniveau, lassen seine alten Automatismen regieren und nennen es dann „Hund sein“. In Wahrheit sorgen wir dafür, dass seine Instinkte ihn selbst terrorisieren und verwehren ihm genau das, wonach sein System strebt: Bewusstheit, Ruhe, soziale Klarheit und ein erwachsenes Leben.
Manchmal habe ich den Eindruck, als soll der Hund unsere kindliche Fantasie in die reale Welt holen, weil wir es ja im Korsett der Erwachsenen Gesellschaft nicht dürfen ...
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