18/07/2025
Ein ganz dunkler Tag in unserer rumänischen Pferdeklinik.
Es ist 4.00 Uhr. Ich stehe im Bad und schaue in den Spiegel.
Der alte Mann ist aufgedunsen, die Haare sind grau und eine Zahnlücke ist zu erkennen.
Der Zerfall des Körpers ist nicht zu leugnen.
Doch wer bin ich überhaupt?
Irgend wie sollte ich doch einfach nur ein Hufschmied sein.
Täglich gut gelaunte Leute treffen und auch gutes Geld verdienen.
Mit einem Lied auf den Lippen fahre ich von Stall zu Stall und bringe das Glück direkt persönlich zu den Pferden.
Eigentlich bin ich weder ein Pathologe oder ein Forensiker.
Da aber kein anderer da ist....
Gestern startete der Tag mit einem gewissen Erwartungsdruck.
Der ist ohnehin immer hier in Rumänien.
Ich bin der Motor der Tierklinik und die fragenden Blicke der mitarbeitenden Ärzte und Angestellten treffen stets auf meinen alten Körper.
Am Nachmittag zuvor war eine Eselstute angeliefert worden.
Die Eseldame wurde von staatlicher Seite beschlagnahmt oder aufgelesen.
Dann wurde sie direkt an eine registrierte Tierschutzorganisation übergeben.
Die Organisation, Paws of Love, wandte sich dann an uns.
Der Rest ist bereits in der ewigen Hölle des Internets verewigt.
Die Eseldame „Skyler“ wurde angeliefert in einem weichen Bett aus Stroh.
Jede Untersuchung beginnt mit der Sichtbefundung. Das offensichtliche kann natürlich jeder sehen.
Und im Netz kommentieren dann hunderte Experten über das Ausmaß und die Ursache.
Per Mail erhielt ich umgehend viele Tipps, vom Heilkristall bis zum Wunderwasser war alles dabei.
Zurück zum Sichtbefund. Die Eseldame konnte trotz unserer starken Schmerzmittel kaum stehen.
Nach wenigen Sekunden ging sie zu Boden. Vorne stand sie auch nicht mehr auf den Hufen sondern auf den Fessel.
Hufe waren auch nicht mehr vorhanden. Und die Zehenachse war zur Seite, nach lateral, weg gestreckt.
Das orthopädische Desaster war enorm und verstörend.
Doch das war nicht das Urteil zur Euthanasie. Auch nicht die vielen sichtbaren offenen Wunden, welche den kleinen Tierkörper übersäten.
Der Entschluss dieses Tier umgehend zu erlösen war ein Anderer.
Vorne links, am Krongelenk war eine offene Wunde. Man konnte bis an das Gelenk hinein schauen.
Der Verwesungsgeruch war unerträglich. Die Knochenstruktur war partiell zersetzt.
Der gesamte Fuß (Huf mit Gelenk) faule gerade ab.
Die Schmerzen waren unerträglich. Ein hoher Schmerzpegel trifft auf den Überlebensmodus. Die Blutwerte zeigten Erschöpfung, Blutmangel, Stress und Schmerz.
In Deutschland bin ich seit 2006 als Gutachter aktiv. Als Pferde- und Hufspezialist wurde ich um viele Expertisen gebeten. Amtsgerichte, Landgerichte und derzeit sogar ein Prozess am EuGH in Brüssel.
Im Tiermissbrauchsverfahren konnte ich schon viel zu den Verurteilungen beitragen. In Deutschland betreibe ich einen Fachbetrieb für Huferkrankungen und in Rumänien eine Pferdeklinik. Meine Kontakte in Berlin und Brüssel sind gar nicht so übel und mein Willen ist definitiv jünger und agiler als mein Körper.
Das Morphium durchdrang ihre Adern und die Gesichtszüge entspannten sich. Veronika, Daphne und ich hielten sie fest. Der Körper entspannte sich und lag zufrieden auf dem Gummiboden.
Wir streichelten ihr Gesicht und das Ketamin ließ sie einschlafen. Vermutlich der erste entspannte Schlaf.
Erst dann wurde sie euthanasiert.
Es geschah sanft, friedlich und definitiv ohne Stress oder Schmerz.
Der eingetretene Tod wurde festgestellt und der Zeitpunkt wurde dokumentiert.
Dieser Zeitpunkt war mein Startschuss.
Jetzt betrete ich den Ring.
Ich habe den Gegner im Blick und ich sehe die Tiere, welche noch in seinem Besitz sind. Es wird kein KO.
Die Ringrichter sind bei diesen Kämpfen komisch. Sie wollen einen Überzeugungskamp über die volle Distanz. Und auch wenn der Gegner augenscheinlich zu Boden geht, er darf drei Mal aufstehen.
Ich muss mich gut vorbereiten. Ein Unentschieden ist kein Sieg.
In meiner Ringecke steht mein Team. Tierärzte, Anwälte, Staatsanwälte und eine geballte Ladung Prozesserfahrung.
Aber dieser Kamp ist anders. Denn ich wurde nicht angefordert.
Ich habe mich soeben selbst eingeladen. Ich bin Gutachter und Kläger in einer Person.
Der Vorwurf: passive und aktive Tierquälerei.
Ich stülpe mir die langen Gummihandschuhe über.
Diese taube Gefühl durchströmt meinen Körper.
Die Scheuklappen werden aktiviert und das erlernte Programm startet.
Die Knochensäge erledigt ihren Job. Die Gliedmaßen werden abgetrennt, dokumentiert, geröntgt und eingefroren. Der Gegner schläft noch sanft und sicher.
Er ist dreist, fordert vermutlich bereits seinen Esel zurück. Die Liste meiner Fragen ist lang.
Wie kam es zu den gebrochenen Hinterbeinen?
Warum sind die Hornhäute der Augen verstümmelt?
Gestern verließ ich die Klinik bereits um 13.30 Uhr. Ich fuhr mit meinem Schmiedebus umher. Überdachte mein Leben. Im Radio lief gute Musik. Der Geruch des Todes und der Verwesung fuhr mit mir.
Die Dusche war heiß. Und das war auch nötig.
So lange stand ich selten unter einer Dusche. Das Wasser lief in meinen offen Mund und es schmeckte salzig.
Der Himmel war tiefschwarz und dicke Tropfen fielen auf die Erde.
Dieser Kampf wird lange dauern. Der Gegner wird sich wehren .
Aber erinnert euch!
Vor ein paar Jahren setzten wir schon einmal die Verurteilung und die Inhaftierung von Tierschändern in Rumänien durch.
Es ist also nicht aussichtslos.
Es geht nicht um Rache, es geht um Gerechtigkeit.
Meine Arbeitstage haben eigentlich immer mehr als 14 Stunden.
Die Wochenenden existieren seit 20 Jahren nicht mehr in meiner Welt.
Aber um letzteres geht es, unsere Welt in der wir leben. Und in meiner Welt habe ich es häufig Tier- und Kinderschändern zu tun.
Und so lange ich kann, werde ich mich für die Opfer einsetzen.
Der Prozess wird langatmig und teuer.
Und sicherlich werde ich mich dazu noch einmal äußern.
Aber bitte lasst mir Luft zu atmen.
Dieses Wochenende haben wir ein Seminar in der Equiwent Tierklinik.
Es wird ein spannendes Wochenende. Es geht um die Hilfe für kranke Tiere.
Danke an alle Unterstützer,
euer Markus Raabe und Team
Hilfsorganisation:
www.equiwent.org
Tierärztliche Pferdeklinik:
www.markusraabe.com